In der Fremde daheim


Karl Valentin – Die Fremdenvalentin-150x150.jpg

Karlstadt:
Wir haben in der letzten Unterrichtsstunde über die Kleidung des Menschen gesprochen und zwar über das Hemd. Wer von euch kann mir nun einen Reim auf Hemd sagen?

Valentin:
Auf Hemd reimt sich fremd!

Karlstadt:
Gut – und wie heißt die Mehrzahl von fremd?

Valentin:
Die Fremden.

Karlstadt:
Jawohl, die Fremden. – Und aus was bestehen die Fremden?

Valentin:
Aus „frem“ und „den“.

Karlstadt:
Gut – und was ist ein Fremder?

Valentin:
Fleisch, Gemüse, Obst, Mehlspeisen und so weiter.

Karlstadt:
Nein, nein, nicht was er ißt, will ich wissen, sondern wie er ist.

Valentin:
Ja, ein Fremder ist nicht immer ein Fremder.

Karlstadt:
Wieso?

Valentin:
Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.

Karlstadt:
Das ist nicht unrichtig. – Und warum fühlt sich ein Fremder nur in der Fremde fremd?

Valentin:
Weil jeder Fremde, der sich fremd fühlt, ein Fremder ist und zwar so lange, bis er sich nicht mehr fremd fühlt, dann ist er kein Fremder mehr.

Karlstadt:
Sehr richtig! – Wenn aber ein Fremder schon lange in der Fremde ist, bleibt er dann immer ein Fremder?

Valentin:
Nein. Das ist nur so lange ein Fremder, bis er alles kennt und gesehen hat, denn dann ist ihm nichts mehr fremd.

Karlstadt:
Es kann aber auch einem Einheimischen etwas fremd sein!

Valentin:
Gewiß, manchem Münchner zum Beispiel ist das Hofbräuhaus nicht fremd, während ihm in der gleichen Stadt das Deutsche Museum, die Glyptothek, die Pinkothek und so weiter fremd sind.

Karlstadt:
Damit wollen Sie also sagen, daß der Einheimische in mancher Hinsicht in seiner eigenen Vaterstadt zugleich noch ein Fremder sein kann. – Was sind aber Fremde unter Fremden?

Valentin:
Fremde unter Fremden sind: wenn Fremde über eine Brücke fahren und unter der Brücke fährt ein Eisenbahnzug mit Fremden durch, so sind die durchfahrenden Fremden Fremde unter Fremden, was Sie, Herr Lehrer, vielleicht so schnell gar nicht begreifen werden.

Karlstadt:
Oho! – Und was sind Einheimische?

Valentin:
Dem Einheimischen sind eigentlich die fremdesten Fremden nicht fremd. Der Einheimische kennt zwar den Fremden nicht, kennt aber am ersten Blick, daß es sich um einen Fremden handelt.

Karlstadt:
Wenn aber ein Fremder von einem Fremden eine Auskunft will?

Valentin:
Sehr einfach: Frägt ein Fremder in einer fremden Stadt einen Fremden um irgend etwas, was ihm fremd ist, so sagt der Fremde zu dem Fremden, das ist mir leider fremd, ich bin hier nämlich selbst fremd.

Karlstadt:
Das Gegenteil von fremd wäre also – unfremd?

Valentin:
Wenn ein Fremder einen Bekannten hat, so kann ihm dieser Bekannte zuerst fremd gewesen sein, aber durch das gegenseitige Bekanntwerden sind sich die beiden nicht mehr fremd. Wenn aber die zwei mitsammen in eine fremde Stadt reisen, so sind diese beiden Bekannten jetzt in der fremden Stadt wieder Fremde geworden. Die beiden sind also – das ist zwar paradox – fremde Bekannte zueinander geworden.

Arsch huh