Als Herr Rantz mich eines Tages nach dem Unterricht fragte, ob ich Lust hätte, mich für ein Projekt zu bewerben, bei dem es darum geht, ca. 80 Jugendliche aus verschiedenen Ländern kennen zu lernen und zusammen mit ihnen eine Woche in einer Abtei in Kerkrade zu verbringen, hatte ich zu Beginn nur die dadurch entfallende Woche Schule im Kopf. Nachdem ich jedoch im Internet diverse Erfahrungsberichte gelesen hatte und erfuhr, dass noch drei weitere Mitschüler mitkamen, fand ich langsam aber sicher Gefallen an dem Projekt, bewarb mich für dieses und wurde Gott sei Dank – zusammen mit Melanie Bayo, Melisa Koyuncu und Timo Grzegorzitza – ausgewählt.
Es nahmen jeweils ca. vier Schüler und ein bis zwei Lehrer von Schulen aus Südafrika, Serbien, Russland, Österreich, den Niederlanden, Rumänien und Belgien teil. Auch einige Schulen aus Aachen und der Euregio waren vertreten. Die ausländischen Schüler waren bereits Samstag in der Abtei Rolduc angekommen; wir trafen am Montag dazu. Nach der Ankunft versammelten wir uns in der Aula Minor, einem Konferenzsaal, der in der kommende Woche unser täglicher Treffpunkt sein würde. Dort hielt der Veranstalter – Werner Janssen – eine kurze Einführungsrede und stelle uns das Motto „Jugend im Dialog“ vor sowie den Leitspruch des Projektes („look, care and find“), welcher uns die Woche lang begleiten sollte. Anschließend wurden wir in Gruppen eingeteilt und bekamen die Schlüssel zu unseren Räumen; erst dann erfuhren wir, mit wem wir uns ein Zimmer teilen sollten, in meinem Fall waren dies Mitch (Belgien), Frederico (Belgien) und Loffie (Südafrika). Wir durften absichtlich nicht mit Mitschülern unserer eigenen Schule ein Zimmer beziehen, damit wir möglichst schnell mit den Jugendlichen aus den verschiedenen Ländern in Kontakt treten konnten. Nachdem wir unsere Koffer hochgetragen hatten und uns kurz einander vorstellten, mussten wir auch wieder los, da ein Spaziergang zum Haus Heyden anstand, einer ehemaligen Wasserburg. Auf dem Weg lernten wir einander besser kennen und schlossen schon die ersten Verabredungen für die abendliche Freizeit. Der Hausherr der Burg hieß uns herzlich willkommen und erzählte uns etwas über das Grundstück. Anschließend gab es in der umgebauten Scheune eine Stärkung, bei der wir uns als multinationale Gruppe jeweils zusammen setzen sollten.
Nach dem Essen gingen wir in unseren ersten Dialog, wieder in den zugeteilten Gruppen, und unterhielten uns vor der schönen Burgkulisse auf Englisch über Familie, Freizeit, Träume, Schule etc. Anschließend trafen wir uns wieder, bedankten uns für die Gastfreundlichkeit und machten uns auf den Heimweg. Bevor wir jedoch endgültig zur Abtei zurück gingen, hatten wir noch ein wenig Freizeit in Kerkrade. Nach dem Abendessen versammelten wir uns in der Aula Minor zu den Schulpräsentationen, welche den Tag abrundeten. Jede Schule stellte sich selber sowie die teilnehmenden Schüler und Lehrer kurz vor – hier war es besonders interessant zu sehen, wie die Schulen in den verschiedenen Ländern aussahen und welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es gab.
Am nächstens Tag trafen wir uns nach dem Frühstück wieder in der Aula Minor, um den Plan für den Tag durchzugehen. Wir hatten die Wahl zwischen dem Besuch des Klosters Mamelis oder dem Dreiländereck. Ich entschied mich für das Kloster. Das Benediktiner-Kloster in Vaals wurde uns von einem Abt gezeigt, mit welchem wir nach der Führung in einen Dialog traten. Als wir das Kloster verließen, trafen wir auf den Rest der Gruppe und fuhren gemeinsam zum amerikanischen Soldatenfriedhof Margraten; dort liegen 8302 Gefallene. Er ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Grausamkeit des Krieges, die uns alle nachdenklich werden ließ. Abends besuchten wir gemeinsam in der Rococo-Bibliothek der Abtei ein Harfenkonzert, welches auf Werner Janssens Wunsch hin mit Gedichten in verschiedenen Sprachen unterlegt wurde.
Mittwoch war der „Eifel-Tag“; wir fuhren früh los, und unser erster Halt war ein Café in Erkensruhr, in dem wir uns für den Tag stärken konnten. Weiter fuhren wir nach Vogelsang, einer ehemalige NS-Ordensburg. Wir bekamen eine Führung und einen kleinen Einblick in die damalige Weltvorstellung. Zum Abschluss unserer kleinen Eifel-Tour fuhren wir in das kleine Städtchen Monschau, wo wir ein wenig Freizeit hatten, welche erneut mit deinem Dialog ausgeschmückt werden sollte. Obwohl die meisten durch das viele Fahren und die viele frische Luft müde geworden waren, besuchten wir abends auf der Burg Rode ein zweistündiges Klavierkonzert.
Donnerstag fuhren wir zur Lebenshilfe Aachen, einer Behindertenwerkstatt, in welcher wir selbst arbeiten sollten. Jeder bekam einen der dort Angestellten als Paten für den Vormittag. Ich bekam Ralf, einen 26 Jahre alten Rollstuhlfahrer; zusammen sollten wir Süßigkeiten verpacken. Währenddessen kamen wir ins Gespräch, und er erzählte mir, wie es zu seiner Behinderung kam, und wie es ist, nicht laufen zu können. In die Unterhaltung vertieft verging die Zeit wie im Flug, und als wir weiter mussten, fiel es schwer sich zu verabschieden. Der Besuch ging allen sehr nahe, so dass die Fahrt nach Aachen größtenteils schweigend verlief. In Aachen hatten wir ein wenig Freizeit, bevor wir im Rathaus in den Dialog mit der Bürgermeisterin Hilde Scheidt traten; während dieses Dialoges sprachen wir über die Themen „Integration“ und „politisches Engagement von Jugendlichen“. Diesen Abend verbrachten wir wieder in der Rococo-Bibliothek bei einem Barockkonzert mit mittelalterlichen Instrumenten.
Der letzte Tag startete bei den meisten mit gemischten Gefühlen: einerseits waren alle froh, wieder nach Hause zu kommen, andererseits war allen bewusst, dass wir Einige nie wieder sehen würden. Nach dem Packen der Koffer gingen wir wieder zur Burg Rode, wo uns dieses Mal kein Konzert, sondern Jürgen Linden, der ehemalige Oberbürgermeister von Aachen, erwartete; er stand uns Rede und Antwort und gab uns einige hilfreiche Ratschläge mit auf den Weg. Zu erwähnen ist, dass an diesem Tag eigentlich Hans-Dietrich Genscher erscheinen sollte, der Träger der Martin-Buber-Plakette 2013. Leider war er aus Gesundheitsgründen verhindert. Am späten Nachmittag gingen wir alle in die Kirche des Klosters und versammelten uns, um das „Vater Unser“ in jeder der anwesenden Sprachen zu hören. Anschließend trafen wir uns in der Aula Minor zur Verabschiedung. Es war für alle ein sehr emotionales Ereignis, da wir in der kurzen Zeit zusammengewachsen waren und sich fast alle miteinander verstanden haben.
Als Abschluss des „Euriade-Projektes“ fand im Februar 2014 dann die Verleihung der Martin-Buber-Plakette an Hans-Dietrich Genscher statt. Hierzu reisten wir mit Herrn Rantz und Frau Horras erneut zuerst zu einem Dialog auf die Burg Rode und dann anschließend nach Rolduc. Während dieses prägenden Gespräches berichtete der ehemalige Außenminister über seine politische Arbeit und über seine Erfahrungen während der Zusammenführung von West- und Ostdeutschland.
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Werner Janssen bedanken, der dieses meiner Meinung nach großartige Projekt Jahr für Jahr leitet, um Jugendlichen aus aller Welt die Chance zu geben, einander kennen zu lernen. Ein weiterer großer Dank geht an Frau Esser und Herrn Rantz, die es uns überhaupt erst ermöglichst haben, diese tolle Erfahrung zu machen, und die uns auf jede erdenkliche Weise vor Ort unterstützt haben.
Christian Carduck