Namibia 2025   heute aktualisiert!


Jenseits des Klassenzimmers:Warum Scler aus Alsdorf und

Baesweiler nach Namibia fliegen

Das Projekt an Gustav-Heinemann-Gesamtschule und Baesweiler Gymnasium ist außergewöhnlich.Was die jugendlichen Teilnehmer von dem Trip erwarten, auf welchen Effekt die Lehrer hoffen.

Ein Austausch, der verbinden soll: Schülerinnen und Schüler aus Alsdorf und Baesweiler und von der Havanna High School bei einem gemeinsamen Projekt. Foto:Johannes Stollwerk/Annette Arlt

Noch in Alsdorf,in wenigen Wochen in Namibia (v.I.): Elias,Valentino, Jennifer Esser, Emma, Miriam und Johannes Stollwerk. Michael (ganz rechts) war vor zwei Jahren Teil der Reisegruppe. Foto: Thomas Vogel

Diese Reise soll Eindruck machen.Und reicher soll sie machen. Nicht im Geldbeutel im Kopf. Da soll sie vielleicht sogar ein bisschen erschüttern – die eigenen Erfahrungen, eigene Denkmuster. Die eigene, persönliche Welt soll sie öffnen. 16 und 17 Jahre alt sind die Teilnehmer dieser außergewöhnlichen Reisegruppe, Schülerinnen und Schüler aus Baesweiler und Alsdorf. Sie verbringen drei Wochen in Namibia, an einer örtlichen Schule, mit örtlichen Altersgenossen. Es ist ein Projekt, das einige sehr engagierte Lehrerinnen und Lehrer von der Gustav-Heinemann-Gesamtschule (GHG) Alsdorf und dem Baesweiler Gymnasium ins Leben gerufen haben. Was dazu gehört und was dahinter steckt.

Einer, der in diesem Jahr mit fliegt, Valentino, erzählt von einer Präsentation in der Schule, durch die er auf das Projekt aufmerksam geworden ist. Darauf, was man bei dieser Reise erleben darf, was diese Reise mit ihren Teilnehmern machen soll. Und gemacht hat? Ja, sie macht einen Unterschied, erzählt Michael. 2023 war er dabei, hat die Havanna High School und das ehemalige Township Katutura, in dem sie steht, kennengelernt. Danach gefragt, was mit ihm aus Namibia zurückgekommen ist, was er für sich aus dieser Reise gezogen hat, wird der junge Mann nachdenklich. „Ich habe über Glück nachgedacht, als ich in Namibia war“, sagt er schließlich. Er habe gemerkt, dass Glück eine sehr subjektive Empfindung sei, Menschen an anderen Orten der Erde mit viel weniger zurechtkommen und glücklicher sein können als in Deutschland. Über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit habe er sich viele Gedanken gemacht, „dass es ungerecht ist, dass die Menschen dort in so großer Armut leben müssen, während wir hier alles haben, was wir brauchen„.

Intime Einblicke in andere Lebensrealitäten als die eigene – oftmals zum ersten Mal überhaupt – provozieren fundamentale Gedanken. So wird der junge Geist geformt. Johannes Stellwerk, Lehrer an der GHG und einer der Initiatoren des Namibia-Projekts, seine Kolleginnen und Kollegen der beiden Schulen in Baesweiler und Alsdorf wünschen sich genau das für ihre Schülerinnen und Schüler.

Das unterscheidet die Namibia-Fahrt auch von Reisen im Rahmen des Erasmus­ Programms, bei denen sich die Teilnehmer eben innerhalb Europas bewegen, sagt Jennifer Esser. Sie ist eine der Lehrerinnen, die in diesem Jahr ebenfalls mitfliegen.

Man spürt auch zwei Jahre nach der Reise noch,was das Erlebte mit den Kindern gemacht hat, dass sich ihre Sichtweise auf die Welt verändert hat.

Deutsche und nambibische Schüler halten zum Teil bis heute Kontakt. Foto:Johannes Stellwerk/ Annette Arlt

Ich bekomme da eine Gänsehaut“, sagt Stollwerk. Es habe ihn tief bewegt, wie viele Schülerinnen und Schüler sich in diesem Jahr beworben haben, um mitzufahren. 2023 waren 24 Personen dabei. In diesem Jahr war geplant, wie damals zehn Schülerinnen und Schüler je Schule mitzunehmen. Doch dann wollten viel mehr mitfliegen. Also haben die Organisatoren angefangen, noch mehr zu organisieren, mehr zu ermöglichen. Mit Erfolg: Im Oktober wird die Reisegruppe aus insgesamt 35 Personen bestehen,darunter sechs Lehrerinnen und Lehrer.

Die Kosten liegen naturgemäß höher als für eine Klassenfahrt ans Jsselmeer oder in den Schwarzwald. Mit dem Griff in Fördertöpfe und persönliches Engagement von Lehrern, Eltern und Schülern wird versucht, den finanziellen Aufwand für alle so tragbar wie möglich zu gestalten. Das, was jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer unterm Strich zu investieren hat, ist ein vierstelliger Betrag, um die 2000 Euro (für Flug, Aufenthalt im Wadadee-Haus, Verpflegung, Rundreise durch das Land).

Die Finanzierungsmodelle sehen unterschiedlich aus, und auch in dieser Hinsicht müssen die Jugendlichen hier und da aus ihrer Komfortzone heraus. Mal finanzieren die Eltern komplett, oft müssen die Kids aber ihr Scherflein beitragen – haben gespart oder dafür gearbeitet. „Selbst Aufgaben wie bei Familie oder Nachbarn Rasen mähen – das nimmt man alles mit, weil jede Kleinigkeit zählt„, sagt Valentino. Waffelverkauf, Sponsorenlauf und Spenden helfen, dass die Deutschen nach Namibia reisen können, aber auch Schülerinnen und Schülern der Partnerschule in der dortigen Hauptstadt Windhoeck beim Möglichmachen eines Gegenbesuchs unterstützt werden können. Extra dafür wurde ein Förderverein gegründet.

Rund 800 Kinder werden an der Havanna High School in Windhoek unterrichtet. Viele von ihnen kommen aus sehr armen Familien, haben zum Teil keine Eltern mehr. Bis 2022 wurde in Zelten unterrichtet. Viele Kinder kamen, trotz teils sehr weiter Schulwege, eine Stunde früher; um die Zelte jeden Morgen vor Schulbeginn aufzubauen, wenn sie von Wind und Regen niedergerissen worden waren. Seit 2022 gibt es einen Schulneubau, der „auch ein bisschen entstanden ist, weil der Staat mitbekommen hat, dass es eine Partnerschaft mit deutschen Schulen gibt‘‚, bemerkt Lehrer Johannes Stollwerk.

So kam es zur deutsch-namibischen Schulpartnerschaft

Johannes Stollwerk (Lehrer an der Gustav-Heinemann-Gesamtschule) und seine Frau Annette Arlt (Lehrerin am Baesweiler Gymnasium) waren 2019 gemeinsam mit ihren drei Kindern und drei weiteren Familien auf Reise in Namibia. Die Tochter eines Mitreisenden, Lena Palm, lebte seit einigen Jahren bereits dort und hatte Hilfsprojekte mitgegründet. Einige dieser Projekte lernte die Reisegruppe seinerzeit kennen: unter anderem eine Suppenküche und ein Waisenheim. Eindrücke und Erfahrungen, die Stollwerk und Arlt auch ihren Schülerinnen und Schülern ermöglichen wollten.

Bei der Reise lernten die Deutschen auch Shaun Awaseb kennen, mit dem Palm das Hilfsprojekt „Wadadee Cares“ im ehemaligen Township Katutura ins Leben gerufen hatte. Im Gespräch mit beiden kam die Idee auf eine Partnerschaft zwischen einer Schule in Windhoek und den beiden Schulen in Alsdorf und Baesweiler zu gründen.

Und so ist es gekommen. Wichtig ist Stollwerk zu betonen, dass es sich um eine Partnerschaft handelt, nicht um eine Schulpatenschaft, von denen es bereits viele gebe. „Wir wollen so gut es geht auf Augenhöhe agieren und voneinander lernen.

Die Vorbereitungen laufen seit Oktober 2024, dauern also insgesamt bald ein Jahr. Diese Zeit braucht es, weil hinter so einem Trip jede Menge Bürokratie steckt. Sie stünden jedes Mal mit einem ganzen Ordner an Papieren am Flughafen, erzählen Esser und Stollwerk. Es handelt sich schließlich um eine zum größten Teil minderjährige Reisegruppe, die da ohne Erziehungsberechtigte den Kontinent wechseln möchte.

Apropos Erziehungsberechtigte: Was sagen eigentlich die Eltern dazu, wenn Sohn oder Tochter eines Tages aus der Schule kommt und sagt:Ich möchte mit nach Namibia fliegen? Die Reaktionen, erzählen die Söhne und Töchter; fallen ziemlich unterschiedlich aus. Von begeisterter Zustimmung bis zu rigoroser Ablehnung („Viel zu weit weg. Und die Krankheiten.„) war offenbar alles dabei. Explizit auch für die Eltern veranstalten die Schulen deshalb Infoabende, bei denen viel erklärt wird, Fragen beantwortet werden. So hat sich bereits manch anfängliche Ablehnung  in Zustimmung verwandelt.

Neun Tage verbringen die Jugendlichen an der Havanna High School, neun Tage bereisen sie das Land,um auch die Umwelt kennenzulernen, in der die Menschen in Namibia leben. Eine Woche vor den Herbstferien geht es los und die beiden Herbstferienwochen wird die Reisegruppe unterwegs sein. Am 2. Oktober geht der Flieger.

Entnommen aus Aachener Zeitung vom 12.09.2025