Leseprojekt 11


Projekt „Lesen – Schreiben – Leben“

im Deutschunterricht der Jahrgangsstufe 11 (Von Barbara Cordes im November 2003)

Wozu soll ich lesen ? ? ? Lesecomic

 

Welcher Deutschlehrer kennt sie nicht, diese Frage, die einem aus verständnislosen Schüleraugen oder meist einfach undiplomatisch offen entgegenhallt, wenn man selbst hochmotiviert, die kleinen gelben Reclamhefte unterm Arm, eine Mittelstufenklasse betritt um voller pädagogischer Überzeugung zu verkünden, es gäbe nichts Spannendereres zu lesen als die „Judenbuche“ der Droste-Hülshoff. „Mit Andorra lernt ihr ein Beispiel für die Gefahren von Rassismus und Ausgrenzung von Fremden kennen, am Homo Faber zeige ich euch, wie man einen Roman analysiert, und Goethes Iphigenie lesen wir, weil es das Paradestück des deutschen Humanismus ist.“ Und dabei selbst die zaghafte Frage hegend, ob unseren Schülern das Thema Ausgrenzung nicht näher kommt bei Autoren wie Tahar Ben Jelloun („Papa, was ist ein Fremder?“). Und ob unsere Schüler nicht eher in Auseinandersetzung mit Tradition und Utopien selbst zur Humanität finden sollten, statt den Humanismusbegriff der deutschen Klassik abzuhaken. So wird der Lehrplan tapfer entgegengesetzt dem Murren von Schülern, die unter Lesen höchstens Chaten verstehen und alles andere im Kopf haben als ausgerechnet Bücher. Oder doch nicht immer?

Dieser Frage sind wir im Deutschunterricht der 11 nachgegangen. Am Anfang stand die vollmundige Behauptung der Lehrerin: „Ich bringe euch zum Lesen!“

Die SchülerInnen mussten sich durch Berge von Material durchfressen, ihr eigenes Leseverhalten reflektieren und Stellung beziehen zu einem Thema, das so brandneu ja nun auch nicht ist. Zeit-Literaturkanon, Marcel Reich-Ranickis „Arche Noah der Bücher“ u.ä. liegen in wiederholter Auflage vor und werden doch immer wieder neu reflektiert. Eine Umfrage unter Lehrern unserer Schule zeigte, dass diese nur sehr zögerlich bereit sind, sich auf Lektüreempfehlungen festlegen zu lassen.

Gängelt man nicht die Schüler? Sollte man nicht auch den Literaturunterricht dem aktuellen Geschehen und der unterschiedlichen Leistungsbereitschaft der Schüler anpassen? Wird ein fester Kanon nicht langweilig für Schüler und Lehrer? Auf der anderen Seite: Was ist mit Standards? Mit Allgemeinbildung? Sind wir nicht verpflichtet, die in der Literatur bewahrte Kultur zu tradieren?

Erstaunlich anders fielen die Antworten der Schüler aus: Natürlich gibt es Werke, die man kennen muss – und wenn nicht im Unterricht, wann soll ich sie dann lesen?

Ich soll lesen, damit meine Deutschlehrerin mir nicht immer Fragen beantworten muss, die ich eigentlich schon seit dem 5. Schuljahr können müsste. Denn durch Lesen lernt man Rechtschreibung…, was zumindest meine Lehrerin behauptet.“

Ihr könnt in eine andere Welt abtauchen und je nach Buchart entspannen…. manchmal kann man sich in einem Buch auch selbst finden…“ „Lesen muss vor allem Spaß machen.“ „Bücher erzählen manchmal von unseren Träumen“ – zwischen diesen Antworten bewegte sich die Auseinandersetzung mit obiger Frage.

 

Die Erträge dieses Projektes sind auf den Internetseiten der Klassen 11 a, b und c nachzulesen. Herausgekommen ist eine intensive Auseinandersetzung mit zeitgenössischer und klassischer Literatur. Gelesen haben dann doch alle Schüler mindestens einen Gegenwartsroman. Annäherung an Literatur haben sie auch gesucht auf kreativem Weg. Und in den Klassikern geschmökert. Und konkrete Wünsche geäußert für die nächsten Jahre!

Wobei auch auf Lehrerseite Vorgaben konkretisiert wurden: Nein, ein Werk, für das ich mich selbst nicht erwärme, kann ich auch nicht überzeugend vermitteln. Nein, Lektüre, die den Spaß am Lesen vertreibt, taugt nicht zur Unterrichtsarbeit!

Ja, es gibt Klassiker, die man gelesen haben muss – und Goethes Faust können Schüler nun mal nur mit Anleitung würdigen. Ja, es gibt Themen, die so brennend sind, dass sie im Unterricht behandelt werden müssen – in unterschiedlichen historischen Zusammenhängen, um den Schülern auch die objektivierende Distanzerfahrung zu ermöglichen. Aber auch hier gilt: Ohne Spaß am Lesen selbst ist ihre Behandlung fruchtlos.